Foto: Markus van Offern

Seit mehr als zehn Jahren besucht die 1935 geborene Eva Weyl mittlerweile Schulklassen und berichtet von ihren Erlebnissen während der Zeit des Nationalsozialismus. Auch an der Gesamtschule Mittelkreis haben ihre Zeitzeugenvorträge vor der Jahrgangsstufe 10 eine lange Tradition. Daher freuten sich vor allem die Geschichtslehrerinnen und -lehrer, die Eva Weyl nun schon seit vielen Jahren kennen, auf ihren diesjährigen Besuch und auch Eva Weyl war die Freude über das Wiedersehen deutlich anzumerken.

Als die Zeitzeugin mit ihrem Vortrag begann, herrschte unter den in der Aula versammelten 140 Jugendlichen der zehnten Klassen und dem in diesem Jahr dazugestoßenen Leistungskurs Geschichte aus der Jahrgangsstufe 13 gebannte Stille und alle verfolgten aufmerksam, was die Zeitzeugin über ihre Kindheit als Jüdin im Nationalsozialismus zu berichten hatte:
Wie ihre Eltern schon früh ihr Kaufhaus in Kleve aufgaben, um vor der Diskriminierung und Ausgrenzung durch die Nationalsozialisten in die Niederlande zu fliehen und wie ihre Hoffnung, so der Verfolgung entgehen zu können, schon kurz darauf durch die deutsche Besatzung der Niederlande zunichte gemacht wurde. Wie ihre Familie 1942 in das niederländische Durchgangslager Westerbork nahe der deutschen Grenze umziehen musste und was für eine Sonderstellung Westerbork innerhalb des Systems der Konzentrationslager einnahm. Wie perfide der Lagerkommandant Albert Konrad Gemmeker innerhalb des Lagers eine heile Welt mit Arbeit, Essen und Ablenkungen vorspielen ließ, nur um trotz des regelmäßigen Abstransportes von insgesamt mehr als 100.000 Juden in die Vernichtungslager Ruhe und Ordnung zu wahren.

Foto: Markus van Offern

Besonders in Erinnerung blieben dabei die vielen kleinen Geschichten, die einerseits einen Funken Hoffnung angesichts der Schrecken des Holocaust aufzeigen, andererseits die Graumsamkeit des menschenverachtenden Lagersystems der Nationalsozialisten offenbaren. Gerne erzählt Eva Weyl zum Beispiel, wie ihre Mutter ihr zum 60. Geburtstag einen Brillantring schenkte und erst dabei offenbarte, dass es Eva Weyl selbst war, die die hierfür verwendeten Edelsteine während des Aufenthalts im Lager unwissentlich vor dem Zugriff der Nationalsozialisten bewahrte: Ihre Mutter hatte diese in die Knöpfe der Jacke eingenäht, die die Tochter während der Zeit in Westerbork trug. Den Lagerkommandanten Gemmeker bezeichnet Eva Weyl als „Schreibtischmörder, der mehr als 80.000 Menschenleben auf dem Gewissen hat“ und erzählt dazu die Geschichte eines kleinen jüdischen Mädchens, das schwer erkrankt war und dem Gemmeker zunächst eine Behandlung im Lagerkrankenhaus, dann sogar im Universitätsklinikum Groningen zugestand, nur um nach ihrer Genesung sie und ihre Familie nach Auschwitz deportieren zu lassen.

Umso erstaunlicher erscheint es deshalb auf den ersten Blick, dass Eva Weyl mit der Tochter Gemmekers, besonders aber mit dessen Enkelin Anke Winter, mit der sie sogar gemeinsame Vorträge hält, seit einigen Jahren gut befreundet ist. Wer jedoch die zentrale Botschaft der Holocaust-Überlebenden an die Jugendlichen kennt, versteht sofort, dass dies kein Widerspruch ist: Niemand sei verantwortlich für die Taten seiner Vorfahren in der Vergangenheit, jeder sei jedoch dafür verantwortlich, wie man mit der Vergangenheit umgehe und was man aus ihr lerne. So richtet Eva Weyl gleich zu Beginn ihres Vortrages eine eindringliche Warnung vor den Gefahren des politischen Extremismus an ihre Zuhörerinnen und Zuhörer und betont am Ende des Vortrages noch einmal, dass zwar alle Menschen anders aussehen, aber trotzdem alle gleich sind.